Die Sage vom Wichtelbrunnen.

An der Wichtelkuppe, jenem kleinen Kalksteinhügel oberhalb des jetzigen Wichtelbrunnens, wirkten in alten Zeiten zu Nutz und Frommen der Erdenbürger die Wichtel. Sie halfen den Menschen, soweit sie gut und fromm waren, in allen Notlagen. Doch spielten sie auch manchem Bösewicht zuweilen einen derben Streich. Unterhalb der Wichtelkuppe erstreckte sich nach dem Wehretal hin ein mehr als 20 Morgen großes Triesch und Buschland. Hier oben weidete der fromme Hirt Johann George seine Schafe, während die Herde des Schweinehirten Kaspar Schwarz, genannt der „schwarze Kasper“, weiter unten im Tal ging. Jeder hatte sein genau abgegrenztes Feld, und der schwarze Kasper, der zudem sehr zänkisch war, ließ sich auch nicht die Rute streitig machen. Das Wasser des Berges trat weit unten, wo des Schweinehirten Weide begann, zutage und spendete dessen Tieren eine gute Tränke, die sich nach und nach in einen wüsten Sumpf zertraten. Der Schäfer dagegen fand nur wenig Wasser für seine Herde an jener steinigen Kuppe, wo nur armselige Krüppeltannen dahinvegetierten – wie drunten im Tal seine armen Mitmenschen in ihren erbärmlichen Hütten. Alle Bitten des Schäfers, ihm doch ein wenig Tränke für seine Scharfe zu gewähren, schlug der schwarze Kasper hohnlächelnd ab. Viel Kummer und Leid trug er darum in seinem Herzen. Und wenn die Glocken seines Heimatdorfes verklungen waren und die Betglocke anhob, dreimal drei Glockenschläge zu schlagen, dann zog er die Mütze zu demütigem Gebet, wie es einst seine Väter taten : „Hilf Gott, allezeit. Amen!“. Bei diesen Worten dachte er weniger an sich, als an seine armen Schafe. Den Schweinehirten dagegen hörte man nur fluchen und böse Wort schelten.

Als der Schäfer wieder einmal nach dem Abendläuten laut und verzweifelt sein Gebet zum Himmel gesandt schlief er ermüdet ein. Aber kaum, dass ihm die Augen zugefallen, da hob es an zu poltern und zu pochen. Die fleißigen Wichtel kamen mit Spaten, Beilen und Hacken. Sie fingen an zu roden und zu graben. Erde wurde ab – und aufgetragen, und dort, wo der Hirte schlief, entsprang plötzlich ein silberklarer Quell. Als die Dämmerung sich neigte, war das Werk geschaffen, und die Wichtel verschwanden. Der letzte unter ihnen trat zu dem schlafenden mit den Worten :

„Was Wichtel gebaut, sei deiner Obhut anvertraut,lasst Zeiten kommen und verfliegen, doch dieser Quell wird nie versiegen.“

Dann verschwand er, und der Schäfer erwachte. Doch er traute seinen Augen nicht, als er sah, wie sich seine Schafe nach einer großen Wassermulde drängten und gierig das frische Nass schlürften. Er ahnte, wessen Werk es war, doch in seiner Bescheidenheit wollte er nicht allein davon Besitz ergreifen, und in dankbarer Freude rief er hinauf nach jener Kuppe, dort wo die Wichtel wohnen:

„Dies sei der Wichtelborn!“

Doch vergaß er auch nicht den schwarzen Kasper, der ihm oft genug ein Leid zugeführt hatte und dem nun das Wasser genommen war. Eine kleine Rinne grub er mit seinen Händen in den Rand der Mulde, und so läuft noch bis auf den heutigen Tag von dem Überfluss der Quelle das Wasser die Weide hinunter, dorthin, wo einst der schwarze Kasper seine Schweine hütete und wo noch bis jetzt ein Fleckchen Sumpf geblieben ist.